Starke weibliche Positionen bestimmen den Aufbruch und das Aufbrechen etablierter Konventionen in der Keramikkunst. Dies geht auf eine lange Tradition zurück: Wurden Künstlerinnen lange in der männlich dominierten Kunstwelt diskriminiert und von der Ausbildung ausgeschlossen, begannen sie Anfang des 20. Jahrhunderts eben jene Nischen zu besetzen, die ihnen zu dieser Zeit überlassen wurden. Dies waren zunächst „weiblich“ konnotierte Materialien und Techniken, wie Textil, Grafik und Keramik. Der Rohstoff Ton inspirierte die Pionierinnen, sie experimentierten mit dem Material und Künstlerinnen führen es bis heute immer wieder an seine Grenzen und darüber hinaus.
In der Ausstellung Radical Feminine – Radikal weiblich wird ein Blick auf das Weibliche in der Keramikkunst geworfen. Im Sinn der Wortwurzel, lat. Radix: Wurzel, Ursprung, Quelle, spannt sich ein Bogen von der Urgeschichte bis zu radikalen Ansätzen in der aktuellen Gegenwartskunst. Von einer der ältesten bekannten Frauendarstellungen zu wichtigen Positionen des 20. Jahrhunderts bis in die Jetztzeit, werden das Weibliche und Figurative von Frauen selbst, aber auch starke feministische Haltungen gezeigt. War lange die männliche Sichtweise auf den nackten Frauenkörper vorherrschend, eroberten sich die Keramikkünstlerinnen der Zeit um die Jahrhundertwende dann selbst den Blick auf das Weibliche. Emilie Simandl, Susi Singer und Gudrun Baudisch interpretierten die Nacktheit in ihren Werken auf ihre Art. Mit der Arbeit von Johannes Schweiger (AT) über Lucie Rie (AT/GB) ist auch die bedeutende, vertriebene jüdische Keramikerin vertreten.
In der zeitgenössischen Keramikkunst ist die Bildsprache expliziter:
Feminismus, Radikalität und Verletzlichkeit wohnen den Werken der Künstlerinnen Annerose Riedl (AT), Kris Lemsalu (EE/AT) und Maria Kulikovska (UA) inne. Den verklärend hinterfragenden Blick auf das Menschliche und das Verhältnis zu anderen Spezies werfen Klara Kristalova (PL/SE), Andrea Scholze (NO) und Laura Põld (EE) auf und erfinden märchenhaft bis dystopisch anmutende Figurationen. Gesellschaftspolitisch und -kritisch arbeiten Esra Gülmen (TR/DE), Julia Beliaeva (UA), während sich Angelika Loderer (AT) mit dem Grund der Dinge und Linda Luse (LV/AT) mit den Wurzeln (Radix) selbst beschäftigen. Sie hinterfragen kritisch unseren zwischenmenschlichen Umgang, den Umgang mit unserer Umgebung und der Natur. So schaffen alle Künstlerinnen mit ihren Keramiken fantastische neue Erzählungen von Weiblichkeit, Menschlichkeit und Zusammenleben. Dafür dekonstruieren sie Dogmen humorvoll und üppig und zerstören, setzen neu zusammen, überschreiten Grenzen und erfinden Vorstellungen des Femininen radikal neu.
Das Konzept sieht vor, internationale zeitgenössische Kunst in Keramik höchster Qualität im Spiegel der Sammlungen und des Kontextes des Bundeslandes Oberösterreich zu präsentieren: Die Sammlung der Stadt Gmunden, die Archive der Gmundner Keramik Manufaktur und Laufen Austria AG, Privatsammlungen, Galerien und Arbeiten aus der Sammlung des Landes Oberösterreich und aus dem Ausstellungsprogramm der OÖ Landes-Kultur GmbH und der Academy of Ceramics Gmunden seit 2022 stellen Leihgaben zur Verfügung. Diese Zusammenschau, ergänzt durch Größen der Keramikszene, zeigt eindrücklich die Einzigartigkeit, Kraft und Radikalität weiblichen Schaffens und das Potential des Werkstoffes Keramik.